Jahreshauptversammlung in Bozen

15. Oktober 2023

von Dr. Markus Fohr

Diplom Biersommelier Weiterbildung und Jahrestreffen

Rund 180 zertifizierte Biersommelièren und Biersommeliers aus ganz Europa kamen am Wochenende vom 12. bis 15. Oktober 2023 nach Bozen in Südtirol, um bei zahlreichen Veranstaltungen im Batzen Bräu, im Schloß Maretsch sowie in vielen bierigen Lokalitäten auf ihrer Jahreshauptversammlung zu tagen sich weiter zu bilden und zu diskutieren.

Der 12. Oktober 2023 galt noch nicht als offizieller Beginn der Veranstaltung. Dennoch waren viele Teilnehmer bereits angereist und fanden sich zu einem „Warm-Up“ im Batzen Häusl im Zentrum von Bozen ein.
Der auf den 12. Oktober zwangsläufig folgende Freitag der 13. Oktober leistete einen herausragenden Beweis dafür, dass selbiger auch ein Glückstag sein kann. Passend zur Zahl „13“ errichteten die Herren von Maretsch ihr Schloss im 13. Jahrhundert. Heute fungiert es als Veranstaltungs- und Tagungszentrum im Herzen von Bozen. Hier hielten die Biersommeliers ihren Weiterbildungstag ab.

 

Ort nicht allen aber vielen Geschehens: Schloss Maretsch in Bozen

Lukas Harpf, Biersommelier, Certified Member of the Institute of Masters of Beer und Getränkehändler aus Bruneck eröffnete den Schulungstag mit einem Überblick über die italienische Bierszene. Italien war ursprünglich ein Weinland. Die ersten Brauereien entstanden erst Mitte des 19. Jahrhunderts in den italienischen Alpen, wo das Klima das Bierbrauen eher ermöglicht als in den südlicheren und damit wärmeren Regionen. Oft aus Österreich stammende Menschen gründeten sie mit Technik und Personal aus Bayern und dem Habsburgerreich. Bis 1995 gestalteten ganze neun Brauereien den italienischen Biermarkt.

  • Birra Wührer, Brescia, 1829
  • Birra Menabrea, Biella, 1846
  • Birra Peroni, Vigevano, 1846
  • Birra Forst, Algund, 1847
  • Birra Moretti, Udine, 1859
  • Birra Dreher, Triest, 1865
  • Birra Poretti, Induno Olona, 1877
  • Birra von Wünster, Comun Nuovo, 1879
  • Birra Pedavena, Feltre, 1895

Drei große Krisen prägten die Situation. Der erste Weltkrieg brachte Rohstoffknappheit. Mit dem Faschismus kam eine nationalistische Politik, was die stark vom Import abhängige Brauwirtschaft schwächte. Der zweite Weltkrieg versetzte der Branche einen weiteren Tiefschlag. In den 1950er und 1960er Jahren lag der Bierkonsum bei vier Litern pro Kopf und Jahr.

1974 stieg mit Danone das erste ausländische Unternehmen als Teilhaber von Birra Wührer in den italienischen Markt ein. Heineken, Carlsberg und SAB Miller folgten. 2022 produzierten die Brauereien des Landes 18,4 Mio. hl Bier bei 7,8 Mio. hl Import und 3,4 Mio. hl Export. Sechs Braugruppen kontrollierten 76 % des Marktes, davon alleine Heineken 33 %. Birra Castello mit 5 % und Birra Forst mit 4 % Marktanteil agieren als größte italienische Brauereien. Der Bierkonsum liegt mittlerweile bei 37,8 Litern pro Kopf und Jahr. Dies ist jedoch nicht nur ein Resultat des Engagements internationaler Konzerne, sondern in erster Linie ein Erfolg der Craftbierbrauer.

Die italienische Craftbierrevolution ähnelt in vielen Bereichen der amerikanischen. In den 1990er Jahren prägten wenige internationale Konzerne den Markt und brauten durchweg helle Lagerbiere. Den Startschuss gab das Gesetz Nr. 504, das 1995 das Heimbrauen legalisierte. Drei Menschen hörten diesen Startschuss mit als erste:

  • Teo Musso eröffnete 1996 in Piozzo einen Brewpub und gründete Birra Baladin.
  • Agostino Arioli eröffnete ebenfalls 1996 in Lurago Marinone einen Brewpub und gründete Nuovo Birrificio Italiano.
  • Lorenzo Dabove, genannt Kuaska, aus Genua, gründete keine Brauerei, begann aber als Bier-Enthusiast über Bier zu schreiben, Vorträge zu halten und die italienischen Craftbrauer zusammen zu bringen.

1998 gründeten die ersten sechs Craftbrauer einen Verband – heute sind es 870 in der Union Birrai. Dieser Erfolg rief auch die Braukonzerne auf den Plan, die begannen, einige der erfolgreichsten Mikrobirrifici zu übernehmen. Als Reaktion darauf legten die Mikrobirrifici 2017 für ihre Mitglieder fest:

  • Eigene Braustätte.
  • Unabhängig.
  • Weniger als 40.000 hl Jahresproduktion.
  • Keine Pasteurisation.
  • Keine Mikrofiltration.
  • Begriff „Birreria Artigianale“ wird geschützt.

Heute stellen Italiens Craftbierbrauer 4 % und damit 250 Mio. € Umsatzanteil des italienischen Biermarktes dar, was 2,5 % oder 500.000 hl Anteil am Volumen bedeutet.

Der italienische Craftbierbrauer zeichnet sich durch Kreativität und Vielfalt genauso aus wie durch Harmonie und Ausgewogenheit. Er agiert frei von Konventionen und Traditionen wie dem deutschen Reinheitsgebot. Der Kombination von Bier und Speisen kommt eine zentrale Bedeutung zu. Es besteht ein reger Austausch mit der Weinwelt. Daraus entstanden einige Besonderheiten wie:

  • Kastanienbier.
  • Biere mit anderen Getreidesorten wie Dinkel.
  • Biere mit Früchten und Gewürzen wie Pfirsichen, schwarze Johannisbeeren, Kirschen, Enzian.
  • Kellerpils, Italian Grape Ale, im Weinfass ausgebaute Biere.

All dies galt es auch in der Praxis nachzuvollziehen - zur Verkostung standen Birrificio Italiano Tipopils, ein hopfengestopftes Kellerpils, sowie Birrificio Lambrata Giusa, ein mit Rauchmalz gebrautes Stout, zur Verfügung.

 

Dr. Wolfgang Stempfl (im Bild ganz rechts), Vorstand des Verbandes der Diplom Biersommeliers, dankt den Referenten des Schulungstages (von links nach rechts): Christian Pichler (Braumeister Batzen Bräu in Bozen), Robert Widmann (Inhaber Batzen Bräu in Bozen) und Lukas Harpf (Harpf Getränke in Bruneck)

Rechts im Bild das Jahrgangsbier 2023 des Verbands der Diplom Biersommeliers, ein Italian Grape Ale mit Namen „Theresa“ aus dem Batzen Bräu

Robert Widmann, Inhaber und Gründer des Batzenbräu, gab einen Überblick über das Italian Grape Ale, den ersten originär italienischen Bierstil. Seine Geschichte begann in Belgien, wo 1973 Jean Pierre van Roy bei Cantillon in Belgien als erster mit Muskatellertrauben zu brauen begann. Der aus Italien stammende Sam Calagione braute 1995 in Milton, Delaware, bereits in den USA ein Traubenbier. In den 1990er Jahren begannen die ersten Italiener mit Trauben zu experimentieren. Nicola Perra aus Maracalagonis auf Sardinien war 2008 der erste Brauer, der mit BB10 ein Grape Ale auf den Markt brachte, und es auch bis heute braut. Dieses stand für die Teilnehmer auch zur Verkostung bereit. Das Kürzel „BB“ steht für die Brauerei Birrificio Barley und die 10 für den Alkoholgehalt. Das Bier selbst basiert auf einem Imperial Stout gebraut mit Traubensaft von der Cannonau Traube.

BB 10 aus der Birrificio Barley, in Szene gesetzt von Biersommeliére Donka Fohr

Noch im gleichen Jahr folgten die Gebrüder Campagnolo aus Muggia. 2012 braute Valter Loverier das Beer Bera im Piemont und damit das erste IGA mit kontrollierter Säuerung, das ebenfalls zur Verkostung stand. 2015 folgte die Aufnahme des IGA in die Beer Style Guidelines des Beer Judge Certification Programm BJCP.

Die meisten italienischen IGA Brauer arbeiten mit Trauben aus regionalem Anbau. So kennen sie die Eigenschaften der Traube und der Weine, dies oft vom Kellermeister selbst. Die Regionalität führt ferner zu einer leichteren Verfügbarkeit der Trauben und stärkt die Identifikation der Menschen mit dem Bier. Viele IGAs entstehen als Jahrgangsbiere nach der Weinernte einmal im Jahr, sind zur Reifung geeignet, hochwertig ausgestattet und hochpreisig. IGAs gibt es mit kontrollierter Gärung, gemischter Gärung und Spontangärung.

Grape Ales sind mittlerweile nicht mehr nur in Italien, sondern auch in vielen anderen Ländern wie Belgien, Deutschland und den USA heimisch.

Christian Pichler, Braumeister des Batzen Bräu in Bozen, füllte das Thema Grape Ale mit Leben aus der Sicht eines Braumeisters, der diesen Bierstil selbst braut. Die größte Herausforderung bestand darin, einen Kellermeister zu finden, der den Traubensaft zur Verfügung stellt und die Produktion des Grape Ale mit Rat und Tat unterstützt. Christian braut zwei Grape Ales – eines benannt nach seiner Frau „Theresa“ und eines benannt nach seiner Schwägerin „Julitta“, beide mit Gewürztraminer im Anteil von 20 (Theresa) und 30 (Julitta) %. Maximal 40 % sind zulässig.

Für den Nachmittag gab es die sprichwörtliche Qual der Wahl aus sieben kulinarischen Veranstaltungen:

Der Autor entschied sich für die Brauerei Mendelbier und das Weingut Moser in Kaltern an der Kalterner Weinstraße. Gerhard Sanin, seit 2018 Kellermeister und Geschäftsführer, begrüßte die Teilnehmer persönlich. Er ist studierter Önologe und eine namhafte Wein-Koryphäe. Als Kellermeister hat er bei namhaften Kellereien wie Weingut Tiefenbrunner, Tenuta Ornellaia und Erste & Neue Kellerei Kaltern fantastische Weine kreiert. Unter anderem hat er bei letzterer als erster Kellermeister überhaupt die höchste Auszeichnung der „Tre Bicchieri“ für einen Kalterersee Auslese erhalten. Spätestens seit dieser Ehrung gehört er zu den besten Kellermeistern Südtirols. Nachdem er sich sein bisheriges Leben mit Wein beschäftigt hat, wuchs in ihm in den letzten Jahren das starke Interesse etwas Neues zu beginnen, ohne Altbewährtes aufzugeben.

So kam Gerhard Sanin zum Weingut Moser, das 2020 um eine Kleinbierbrauerei erweitert wurde. Seither gehört er zu den wenigen Menschen auf der Erde, die Wein keltern und Bier brauen. Letzteres erfolgt nach bayrischem Vorbild mit den Sorten Hell, Weizen und Märzen sowie im Craftbierstil mit Pale Ale und einem im Lagreinfass gelagerten Barley Wine. Die Brauerei ist benannt nach dem Mendelpass, zu dessen Füßen sie liegt, und führt die dortige Bergbahn als Motiv.

Impressionen vom Mendelbier und Weingut Moser

Alle Teilnehmer, die nach dem „Warm-Up“ am Vortag sowie diesem erlebnisreichen Tag noch Energie hatten, begaben sich zum „Pubcrawl“, einer individuellen Biererkundung durch die Bozner Altstadt. Und wessen auch Batterie auch dann noch nicht geleert war, oder wer ohnehin bereits im Batzen Häusl saß, der konnte den Tag bei der Beerparty im Sudwerk ausklingen lassen.

So wie jeder Verband hat auch der der Biersommeliers seine Angelegenheiten im Rahmen einer offiziellen Generalversammlung zu regeln. Dies erfolgte am Vormittag des Samstag, 14. Oktober, wiederum in den Räumen des Schlosses Maretsch. Ein besonderer Dank des Verbandes gilt den Organisatoren der diesjährigen Veranstaltung um Sektionsleiter Südtirol, Helmut Stampfl.

Das Organisationsteam der Jahreshauptversammlung des Verbands der Biersommeliers 2023 um den Sektionsleiter Südtirol, Helmut Stampfl (zweiter von rechts im Bild)

Stand 14. Oktober 2023 hatte der Verband 1.760 Mitglieder, davon 16,4 % Frauen. Seit der Gründung 2004 ist der Verband kontinuierlich gewachsen, dies hauptsächlich durch die Absolventen der beiden Ausbildungsinstitute Doemens Academy, Gräfelfing bei München, und Kiesbye Akademie, Obertrum bei Salzburg. Kontinuierliche Aktivitäten zeigen auch die 15 regionalen Sektionen in Deutschland, Österreich, Schweiz, Südtirol und den Niederlanden mit 50 Sektionstreffen seit der letzten Jahreshauptversammlung.

Zahlreiche Aktivitäten tragen mittlerweile auch drei Projektgruppen für Merchandise, Meisterschaften und Magazin. Die Gruppe Merchandise entwickelte ein eigenes Verbandsglas, die Bierfarbkarte, Poloshirts und Softshelljacken. Von den 8.000 Gläsern, die 2022 aufgelegt wurden, sind mittlerweile alle vergriffen. Das Mitgliedermagazin kam bisher zweimal jährlich in digitaler Form heraus. Erstmals erschien es anlässlich dieser Veranstaltung auch in gedruckter Form. Die Projektgruppe Meisterschaften ist die jüngste der drei Projektgruppen und besteht seit 2022 aus 18 Mitgliedern aus Österreich, der Schweiz, Deutschland, Südtirol und den Niederlanden. Diese Projektgruppe versteht sich als ideeller Unterstützer der nationalen Meisterschaften und der Weltmeisterschaft. Ferner unterstützt sie die Öffentlichkeitsarbeit, bündelt Informationen und berät konzeptionell.

Der Verband betreibt eine aktive Öffentlichkeitsarbeit. Seit 2021 gab es 15 Pressmitteilungen sowie 130 weitere Veröffentlichungen in Print, Online und im Radio, die insgesamt rund 4,5 Mio. Kontakte erreichten. Dies gilt es durch weitere Kontakte und Präsentationen auszubauen.

Auch in Zukunft gestaltet sich das Leben des Verbandes der Biersommeliers lebendig. Hier die wichtigsten Termine – alle Termine enthält die Homepage www.biersommelier.org. In Kooperation mit dem Käse Sommelier Verband erfolgt am 26. November 2023 ein Online-Workshop Käse & Bier mit Versand eines Bierpaketes. Ebenfalls online folgt am 19. Januar 2024 um 16:00 Uhr das Biersommelier-NAVI zum Ausbau des Netzwerks. Das Frühjahrstreffen findet vom 25.-28. April 2024 in Bremen statt, die nächste Jahreshauptversammlung vom 18.-20. Oktober 2024 in Bayreuth.

Alle Teilnehmer der Jahreshauptversammlung 2023 (links) und die weiblichen Biersommeliéren (rechts)

Die Qual der Wahl fiel an diesem Tag nicht ganz so opulent aus wie am Vortag. Sie bestand zwischen einer Stadttour durch Bozen und einem Besuch auf Schloss Runkelstein. Letzteres war mit einer Wanderung verbunden – jegliche Form von Bewegung begrüßte der Autor zu diesem Zeitpunkt außerordentlich.

Im Innenhof des und auf dem Weg zum Schloss Runkelstein

Angesichts des Veranstaltungsortes prädestinierte sich ein „Südtiroler Abend“ als Abschlussveranstaltung – hier zu Gast bei Amalia Pernter in Salurn an der Weinstraße. Amalia Pernter stellt nicht nur ein Gasthaus im historischen Zentrum Salurns mit traditionsreichem Flair dar. Sie ist auch eine der ältesten und die letzte verbliebene Lederhosenmanufaktur Südtirols, heute weltweit bekannt mit einem großen Sortiment an Trachtenmode, und Trachtenzubehör.

Amalia Pernter in Salurn von außen (links) und innen (rechts)

Offizielles Glas des Verbands der Biersommeliers mit der Batzen-Flasche im Hintergrund

Und natürlich gab es auch eine letzte Abschlussveranstaltung in Form des Frühschoppens am Sonntag den 15. Oktober im Batzen Häusl.

Außerhalb des offiziellen Programmes bestand die Option, am an einer Bier-Wanderung auf den Salten teilzunehmen. Der Salten ist ein Hochplateau, das sich auf 1.100 bis 1.500 Metern über dem Meeresspiegel im Süden des Tschöggelberges befindet. Die Wanderung startete in Afing und führte auf den Salten, auf dessen Hütte eine Bierverkostung stattfand. Beides führte Bergführer und Braumeister Matthias von Guggenbräu durch.

Autor

Dr. Markus Fohr
Biersommelier
Geschäftsführer der Lahnsteiner Brauerei

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